Seiteninhalt
02.05.2016

Integration? Ja, bitte!

Integration? Ja, bitte!

Ratzeburg/Groß Grönau (aa). Der 21jährige Afghane Said Ramez Payenda entging nur knapp der Abschiebung in sein Heimatland und macht jetzt eine Ausbildung in der Ratzeburger Stadtverwaltung. Seine Geschichte steht exemplarisch für viele Flüchtlinge, die derzeit versuchen, hier bei uns im Herzogtum Lauenburg Fuß fassen.


Said Ramez Payenda hat im Herzogtum Lauenburg seine neue Heimat gefunden. Fotos: Anders

Zusammen mit seiner Familie floh der heute 21jährige Said Ramez Payenda im Jahr 2010 von Afghanistan nach Deutschland. Mit Zwischenstation in Gudow lebt er heute in Groß Grönau und macht aktuell bei der Ratzeburger Stadtverwaltung eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Seit Ende März 2016 ist er endlich anerkannter Flüchtling und nicht mehr ausreisepflichtig. Ein Status, den Said sich hart erarbeitet hat, und eine Geschichte, die es sich lohnt erzählt zu werden. 

„Mein Papa lebt nicht so streng religiös und die Leute, wo wir wohnten, waren streng religiös“, erklärt Said Ramez Payenda recht nüchtern den Auslöser für die Flucht aus seiner Heimat vor sechs Jahren. In einem Land, wo unter anderem die extremistischen Taliban ihre ganz eigene Vorstellung von der Auslegung des Koran durchsetzen wollen, ist jeder, der sich nicht fügen will, in Lebensgefahr. Noch vor der Flucht muss die Familie eine leidvolle Zeit erdulden. „Die Entführung meines Bruders war ein Grund, warum wir unsere Heimat verlassen haben“, so Said. Darüberhinaus verloren Payendas durch den Krieg im eigenen Land insgesamt fünf Familienmitglieder. „Am Ende hatten wir echt keine Chance mehr. Da hat mein Papa gesagt: 'Ich habe seit 34 Jahren Krieg erlebt, aber ich will jetzt, dass meine kleine Tochter ruhig zur Schule gehen kann, meine andere Tochter und mein Sohn ruhig studieren können. Wir verlassen jetzt Afghanistan, damit meine Kinder in Ruhe leben können.'“

Mit sechs Personen machte die Familie sich dann auf eine nicht minder gefahrvolle Reise. Über die Türkei ging es den fast schon klassischen Weg über das Mittelmeer. Said: „Das war sehr anstrengend. Wir waren vier Tage auf dem Wasser unterwegs.“

In Deutschland angekommen ging es über die Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster nach Gudow. Seit 2012 verfügt die Familie endlich wieder über eigene vier Wände in Groß Grönau. Bis vor ungefähr zwei Jahren lebten die Payenda nur mit Duldung hier, bis dann endlich die Anerkennung als Flüchtling erteilt wird. Allen außer Said. Aus nicht erfindlichen Gründen wurde ihm die Anerkennung verweigert. „Es war einfach so angekreuzt 'unanfechtbar abgelehnt'. Den Grund wusste ich nicht“, so der angehende Verwaltungsfachangestellte. Er musste weiter bangen, jederzeit wieder in seine alte Heimat abgeschoben zu werden. Für ihn eine unverständliche Entscheidung. Da sein Fall eben als 'unfechtbar' abgelehnt wurde, blieb ihm auch der Gang über Gericht verwehrt.

Doch Said Ramez gab nicht auf. Er hatte mittlerweile in Ratzeburg seinen Realschulabschluss und in Mölln am BBZ seine Fachhochschulreife erlangt. Er engagiert sich in der offenen Jugendarbeit beim Gleis 21 in Ratzeburg und spielt Fußball beim TSV Eintracht Groß Grönau. An Integrationswillen mangelt es ihm nicht, doch trotzdem wird er irgendwann informiert, dass seine Abschiebung bevorsteht. „Wir haben dann überlegt, was kann man machen?“, erinnert sich Said. Sein letzter Ausweg: seine Anerkennung über die 'Härtefallregelung' zu erhalten. So musste er viele Dokumente wie seine Abschlusszeugnisse und seinen Ausbildungsvertrag sammeln und einreichen. Mittlerweile hatte er im August 2015 im Ratzeburger Rathaus einen Ausbildungsplatz erhalten.

Einem nicht anerkannten Flüchtling einen Ausbildungsplatz anzubieten, klingt erstmal nach einem Risiko für den Arbeitgeber. Dazu Bürgermeister Rainer Voß: „Ich kannte Herrn Payenda schon länger von der Arbeit im Gleis 21, wo er ja auch ehrenamtlich tätig war, vom Streetsoccerturnier auf dem Marktplatz, wo ich immer verloren habe, wenn er mitgespielt hat. Nachdem er sich auch schulisch ganz hervorragend bewährt hatte, haben wir ihm - auch in dem Bewusstsein, dass es kritisch werden könnte – nach der entsprechenden Auswahl diese Chance gegeben. Das hat sich ja auch bewährt. Wir sind mit seiner Arbeit hier sehr zufrieden, er ist gut eingearbeitet. Wir können dieses Risiko (der Abschiebung) als öffentlich-rechtlicher Ausbilder wesentlich leichter schultern, als jemand im handwerklichen oder gewerblichen Bereich. Da ist es natürlich deutlich schwieriger das umsetzen. Dieses Risiko ist für uns auch da. Wenn jemand plötzlich nicht mehr da ist, sind das auch für uns vergebliche Kosten, die wir da aufgewendet haben. Aber wer, wenn nicht die öffentlichen Arbeitgeber, sollen solche Risiken eingehen?“

Um die Kriterien einer Härtefallregelung zu erfüllen, erhielt Said aus seinem Umfeld viel Rückendeckung: Von Bürgermeister Rainer Voß über seine ehemaligen Schulleiter und Lehrer bis hin zu Nachbarn fertigten ihm alle Empfehlungsschreiben. „Als ich sagte, ich brauche diese Unterlagen, waren alle bereit, mir zu helfen“, freut sich Said. Alles zusammen reichte er in Kiel ein.

Vor wenigen Wochen dann die erleichternde Nachricht aus der Landeshauptstadt – Said Ramez Payenda darf bleiben. Erleichterung pur. Vieles geht jetzt einfacher. „Zuvor mit der Duldung konnte ich zum Beispiel keinen Handyvertrag abschließen“, so der 21jährige. Auch sein Aktionsradius war auf den Kreis Herzogtum Lauenburg begrenzt, sogar ein Besuch ins benachbarte Lübeck war nicht erlaubt. „Das war echt krass“, beschreibt Said, denn die Nachricht über seine Abschiebung erhielt er kurz vor einer Abschlussprüfung, „ich wusste echt nicht, wie ich meine Prüfung bestehen soll. Es war sehr stressig, es kam alles auf einmal.“

  


Zur Zeit durchläuft Said Ramez Payenda im Rahmen seiner Ausbildung als Verwaltungsfachangestellter sämtliche Abteilungen der Ratzeburger Stadtverwaltung.
Foto: Andreas Anders

Den Grund, dass er am Ende doch noch seine Aufenthaltsgenehmigung bekam, sieht Said Ramez Payenda in seinem steten Bestreben sich zu integrieren: „Ich bin überall hingegangen – zu Veranstaltungen, habe den Kontakt mit den Menschen gesucht, das hat mir gut geholfen.“

„Ich freue mich ganz persönlich darüber, dass die Kommission in Kiel nun darüber beschieden hat, dass er hier bleiben kann. Das ist doch eine Supersache“
, meint auch Saids Chef, Rainer Voß.

„Die Ausbildung macht echt Spaß. Ich bin auch froh, dass ich den Ausbildungsplatz und das Vertauen bekommen habe“, erklärt Said, dass es für den Arbeitgeber sicher keine leichte Entscheidung war, da zu dem Zeitpunkt seine Abschiebung kurz bevorstand. Doch mit der erleichternden Aufenthaltsgenehmigung im Rücken rechtfertigte er das in ihn gesetzte Vertauen und absolvierte jüngt seine erste Prüfung mit der Note 1,7.

Er engagiert sich auch weiterhin in Ratzeburg in der Flüchtlingsarbeit. Über Facebook startete er eine Kleidungssammlung, hilft bei der Diakonie oder beim Kreis aus, wenn es etwas zu übersetzen gilt. Der Umgang mit den Flüchtlingen heute bewertet er durchweg positiv. „Die Flüchtlinge erhalten schneller eine Wohnung, bekommen schneller die Möglichkeit, Deutsch zu lernen. Ich war damals drei Monate in Neumünster – das war Zeitverschwendung“, erklärt Said Ramez Payenda. Dann endlich nach weiteren nur drei Monaten Deutschkurs musste er sich an seinen Realschulabschluss wagen. „Die aktuelle Lage hat sich da deutlich verbessert“, attestiert Said.

Seine Pläne für die Zukunft: „Ich habe hier wirklich viele Sachen bekommen. Ich habe Liebe und Freundlichkeit erfahren. Ich durfte zur Schule gehen und meinen Abschluss machen. Ich habe eine Wohnung bekommen, ich habe Geld bekommen. Mein allererster Wunsch ist es, jetzt auch hier im Rathaus meinen Abschluss zu machen. Ich möchte studieren und dann hier arbeiten und Steuern zahlen, um alles, was ich bekommen habe, wieder zurückzuzahlen.“

Sein Rat an die Flüchtlinge in Deutschland: „Sie haben hier die Chance eine Ausbildung zu machen und Deutsch zu lernen – nutzt die Chance euch zu integrieren. Bloß nicht einfach nur zu Hause sitzen und gucken, was jetzt passiert. Geht es nicht gleich weiter, muss man manchmal auch selber seine Chance, seinen Weg finden. Für die Chance, die man hier hat, muss man auch etwas tun.“

Die Geschichte von Said Ramez Payenda hört sich nach einem Musterbeispiel für einen integrationswilligen Flüchtling an. Ist er eine Ausnahme? „Es ist überhaupt keine Ausnahme, egal wo man momentan hinschaut“, weiß Mark Sauer von der Stadtverwaltung zu berichten. Er koordiniert die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in Ratzeburg. „Von den Leuten, die gekommen sind, ist der Wille zur Integration doch der Regelfall. Es ist die Ausnahme, dass wir fehlenden Integrationswillen sehen“, so Sauer weiter. Das sehe man auch bei den Sprachkursen der Volkshochschule. Sauer: „Der Lernwille ist enorm hoch. Wir haben eher das Problem, dass einige der Volksgruppen und Nationalitäten beim Spracherwerb ausgenommen sind. Weiterführende Sprachkurse sind nur für Personen aus Iran, Irak, Syrien und Eritrea geöffnet, für Afghanen zum Beispiel gar nicht. Trotzdem ist ein hoher Lernwille gerade auch bei den Afghanen vorhanden und es herrscht oft große Enttäuschung, wenn sie dann merken, dass es irgendwo dann nicht mehr weitergehen soll.“

Bericht: Andreas Anders - herzogtum direkt